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ERFÜLLUNG


Es ist schon wieder etwas her… auf den Tag genau fast drei Jahre. Ich kann das mit Gewissheit sagen, weil ich mit meinen beiden kleinen Töchtern gerade im Auto unterwegs war und wir Rolf Zuckowskis Weihnachtsbäckerei hörten. Es war bereits dunkel und wir fuhren von einem Besuch bei der Oma nach Hause.

Ich machte mir während der Fahrt Gedanken darüber, ob ich denn schon alle Geschenke für die Nikolaussäcke von Melina und Jona zusammen hätte und ging gedanklich noch einmal akribisch die Weihnachtswunschliste der beiden durch:

...außerdem wollte ich doch noch Ausstecherle mit den Kindern backen. Hmmm, morgen vielleicht… Und mit Melina muss ich auch mal bald anfangen, die Kalender für die Omas und Paten zu gestalten…. Ach, und wir wollten doch auch noch diese Klopapierrollen-Nikoläuse basteln und den Erzieherinnen von Jona im Kindergarten schenken! Puh…

Beim Blick in den Rückspiegel sah ich, wie meine beiden Mädels friedlich aus dem Fenster blickten und von all dem Gedankenchaos in meinem Kopf zum Glück nichts mitbekamen. Ich atmete tief ein und spürte, wie sich ein genügsames Lächeln auf meinen Lippen niederlegte.

Ach, das wird schon alles. Gott sei Dank, darf ich mir all diese Mama-Stressi-Gedanken überhaupt machen! Gott sei Dank bin ich MAMA!!!

Ein typischer Sandra-Gedanke, der mich seit dem Tod von Romy und Lenny in vielen Alltagssituationen als Mama zweier Erdenkinder immer wieder überkommt…

Ein warmes Glücksgefühl erfüllte mich und ich unterdrückte nicht den aufsteigenden Impuls in mir, Melina und Jona genau jetzt berühren zu wollen. Mit meinem rechten Arm griff ich nach hinten und streichelte zuerst Melinas Knie, die meine Berührung prompt erwiderte und ihre warme Hand auf meine legte. Nur wenige Augenblicke später spürte ich Jonas Patschehändchen auf unseren beiden, die entschlossen waren, die Hand ihrer Mama ganz zu sich auf ihr Bein zu ziehen. Ich lachte und entzog mich sanft dem Handgemenge nach einigen Sekunden Streichelzeit, um mich wieder voll und ganz auf die Fahrt zu konzentrieren.

„Mama...“, hörte ich meine damals 3 jährige Tochter Jona plötzlich sagen,

„Mama, weißt du…“

Sie überlegte kurz.

„Ja, mein Schatz?“


„Mama, die Romy und der Lenny, die haben dir fei …Erfüllung… ins Herz gelegt.“

Ich holte tief Luft. Gleichzeitig spürte ich tausende von Schmetterlingen in meinem Bauch aufsteigen.

Erstaunt über die Aussage meiner kleinen Tochter, aus deren Mund ich noch nie das wunderschöne Wort ERFÜLLUNG gehört hatte, fragte ich ganz beseelt nach:

„Was haben die Romy und der Lenny gemacht, Schatz??“

„Na, die haben dir …Erfüllung… ins Herz gelegt!“

Ich war sprachlos und völlig verzaubert und reagierte kurzweg mit einer zweiten Knie-Streichelung meiner beiden Töchter, die dieses Mal etwas energischer ausfiel.

„Oh ja, meine Süße, da hast du Recht! Das haben sie wirklich“, antwortete ich ergriffen und wischte mir lächelnd eine Träne von meiner Wange.

„Mama“, fuhr Jona wenige Augenblicke später fort.

„Ja?“

Ihre Stimme wurde lauter, fast so, als sei sie selbst überrascht davon, was sie mir gleich mitteilen wollte.

„Mama! Der Lenny sagt gerade, sie lieben dich fei NOCH MEHR wie du uns!!“

...


Stille Nacht, heilige Nacht erklang damals aus den Lautsprecherboxen. Das weiß ich auch noch.

Und ich glaube fast, dass es kein besseres Lied für diesen heiligen Moment hätte geben können…


© 2020 by Sandra Wagner - die Texte sind urheberrechtlich geschützt.

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