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Die Trauer - Mein ungebetener Gast 🫣

  • Sandra Wagner
  • 23. Mai
  • 5 Min. Lesezeit


Manchmal gebe ich meinen Sternenmamas den Tipp, dass sie sich ihre Trauer doch einfach einmal als eine alte Dame vorstellen sollen. Eine besonders aufdringliche alte Tante vielleicht, die wir nicht gerne zu Besuch haben wollen. Sie kommt immer wieder zu uns und möchte hereingebeten werden, aber wir haben einfach keine Lust, uns mit ihr abzugeben. 

 

Die anstrengende Tante wird aber mit der Zeit immer hartnäckiger, weil sie sich nicht abwimmeln lassen will. Sie lauert uns regelrecht auf. Wir verstecken uns jedes Mal, wenn wir sie kommen sehen. Huschen schnell hinters Sofa, weil sie manchmal sogar so weit geht, dass sie sogar durchs Fenster guckt, nur um zu sehen, ob wir echt nicht zuhause sind. Wir verkriechen uns unter der Bettdecke und machen alle Lichter aus. Aber diese forsche Person lässt sich einfach nicht unterkriegen, sie klopft an unser Fenster und ruft sogar laut und ungeniert nach uns: „Ich weiß, dass du da bist, mach mir die Tür auf!“ 

 

Wir bleiben wacker in unserem Versteck, bis der Störenfried wieder von Dannen zieht. Dann atmen wir erleichtert auf. 

 

Die Abstände der Besuche dieses ungebetenen Gastes werden aber mit jedem Mal kleiner. Am Anfang klappt das Abwimmeln ja noch ganz gut, aber je öfters wir hinter verschlossenen Türen stehen bleiben, desto häufiger kommt diese garstig wirkende alte Oma jetzt zu Besuch. Und sie benutzt mit der Zeit gar nicht mehr die Haustürklingel, sondern sie kommt direkt von hinten über den Garten und späht neugierig durch die Terrassentür, ob sie uns nicht zufällig im Wohnzimmer entdeckt. Und dann klopft sie auch noch schamlos ans Fenster! Und wenn wir ihr nicht aufmachen, geht sie weiter an die Vordertür, und dort pocht sie mit beiden Fäusten lautstark gegen die Tür. 

Sie klingelt mit der Zeit sogar Sturm und wird immer wilder, weil sie - irgendwie verständlicherweise - auch ein wenig sauer ist, dass wir sie so lange ignorieren und sie einfach nicht hereinlassen wollen…

 

Ich gebe meinen Klientinnen dann gerne den Tipp, dieser unliebsamen Person doch einfach einmal die Tür aufzumachen und die Trauer, äh die Tante, hereinzubitten. Wir müssen uns ja nicht über ihren Besuch freuen, aber wir können dennoch zumindest ein bisschen gastfreundlich sein, ihr einen Platz anbieten und sie fragen, warum sie gekommen ist und was sie uns sagen möchte. 

 

Ja, es ist mit Sicherheit nicht leicht, sich all das anzuhören, weil unser Gast hat sicher ganz schön was abzuladen, nachdem wir uns so lange keine Zeit für ihn genommen haben. Aber es wird helfen, einfach den Raum bereitzuhalten und das Getöse auszuhalten.

 

Vielleicht entwickelt sich ja sogar ein kurzer Austausch und wir sind im Anschluss ganz erstaunt darüber, dass sich manche Aussagen sogar stimmig für uns anhörten. Und die Oma lächelt manchmal sogar milde, wenn wir ihr das Gefühl geben, etwas verstanden zu haben und einsichtig still vor uns hin nicken.

 

Und so schnell die aufdringliche Besucherin gekommen ist, so schnell geht sie plötzlich auch wieder. Auf einmal ist sie weg und wir bleiben sprachlos zurück, immer noch ganz aufgewühlt darüber, dass sie einfach so forsch hereingebrochen ist, ohne dass wir sie eingeladen hatten. Aber ein oder zwei Sätze, die sie sagte, bleiben in unserem Kopf hängen und wir beginnen, darüber nachzudenken und sogar ein wenig Sinn darin zu finden. 

 

Und das ganze Spiel geht immer so weiter. Die Tante mit ihrer eindringlich aufdringlichen Art kommt weiterhin ständig vorbei und klopft immer wieder bei uns an. Manchmal verstecken wir uns noch vor ihr und versuchen, sie zu ignorieren, aber die Dame weiß ganz genau, wie sie uns aus der Reserve locken kann und wenn sie nicht gerade durch unser Schlüsselloch späht, steht sie eben am Küchenfenster und ruft frech herein, dass wir jetzt miteinander Zeit verbringen müssen. 

 

Und weil wir ja mittlerweile nur zu gut wissen, dass Ausreden suchen keinen Zweck hat und sie eh nicht gehen würde, bis wir ihr ein paar Augenblicke unserer Zeit geschenkt haben, bitten wir sie direkt herein, setzen uns neben sie auf die Couch, und hören ihr missmutig zu. 

 

Und das passiert nun mehrmals die Woche, manchmal mehrmals am Tag, bis diese Oma nur noch die Hofeinfahrt hochlaufen muss und wir ihr, ohne dass sie klingeln muss, die Tür aufmachen und ihr einen Kaffee anbieten. 

 

Und die Gespräche mit ihr beginnen uns zu berühren, wir entdecken ungeahnte Tiefe und ihre Worte treffen genau die Stelle in unserem Herzen, die wir lange Zeit verschlossen hatten. Die Besucherin macht irgendwas mit uns. Es ist nicht schön oder leicht, mit Sicherheit kein Wellness, aber es bewirkt etwas in uns...

 

Irgendwann freuen wir uns sogar darauf, wenn die alte Tante zu Besuch kommt und es geht so weit, dass wir sie manchmal zu uns einladen, ihr einen heißen Kaffee auf dem Tisch stellen und ihr Kekse backen, weil wir die Zeit mit ihr mittlerweile auf eine spezielle Weise so wertschätzen. 

 

Es entsteht eine Beziehung zwischen uns und unserer Trauer – dem anfangs noch so ungebetenen Gast. 

 

Und wir erkennen, dass die Trauer nicht nur nervig ist, oder anstrengend, oder aufdringlich, sondern dass sie auch weise, tiefgründig, berührend und sogar tröstend in ihrem Dasein auf uns wirken kann….

 

Und mit der Zeit verstehen wir gar nicht mehr, warum wir am Anfang solche Scheu hatten, uns mit ihr auseinanderzusetzen.

 

Und es wird die Zeit kommen, in der wir unsere Trauer vermissen werden. Ja, wir sehnen uns dann zurück in diese tiefgelebte Zeit, die uns so viel gegeben hat. So viel Neues. So viele Erkenntnisse. So viel Gefühl. Wir erinnern uns dann zurück an die vielen guten Gespräche mit ihr, an die weisen Botschaften, die sie uns vermittelte und an die Momente, die uns wachsen ließen und so viele neue Einsichten schenkten.... 🙏💖

 

So oder so ähnlich klingt die Geschichte über die Trauer - die anstrengende alte Tante - die ich in meinen Begleitungen oft an meine trauernden Mamas weitergebe. 🙂

 

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Unbezahlte Werbung: Kürzlich erreichte mich die Anfrage eines Verlages, ob ich gerne ihr neues Buch „Das kleine Trauermonster“ vorstellen möchte. Ich erhielt ein Exemplar zum Lesen und was soll ich sagen. Ich schmunzelte. Das kleine Trauermonster ist beinahe so, wie die Tante, von der ich immer meinen Sternenmamas erzähle. 😄

 

Ich kann dieses Büchlein deswegen von Herzen weiterempfehlen – nicht nur trauernden Müttern von Sternenkindern, sondern allen Trauernden, ob jung oder alt, die dieses Gefühl der Trauer, das so oft stürmisch an ihrer Herzenstür anklopft, am liebsten abwimmeln möchten und ein kleines Mutmachbüchlein brauchen, um es mutig in ihr Leben zu lassen. Es lohnt sich 😊


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