Heute an diesem stürmischen Tag erinnere ich mich zurück an einen ganz besonderen Moment, den ich vor fast genau vier Jahren zusammen mit meinen beiden kleinen Töchtern erlebt hatte... Es war der Rosenmontag im Jahr 2018.
Auch damals war es ein sehr, sehr stürmischer Tag und ich ging mit meinen beiden Mädchen auf einen abenteuerlichen Wirbelwindspaziergang auf die große Wiese hinter unserem Haus.
Wir vereinbarten, dass wir genau dorthin rennen würden, wohin der starke Wind uns treiben würde. Es war spannend und total lustig - was haben wir gelacht! Der Wind peitschte uns nur so um die Ohren und wir breiteten unsere Arme aus, damit wir immer weiter und weiter von den Sturmböen getragen werden konnten. Die Luft blies von hinten, wie aus einem riesengroßen Ventilator kommend, und wir rannten lachend immer weiter über die große Wiese.
Zum Glück wohnen wir auf dem Land, wo die Weiten schier unendlich sind. Es spielte also keine Rolle für uns, ob wir nach Süden, Westen, Osten oder Norden getrieben wurden – der Wind berechnete unsere Route meterweise neu und wir wurden scheinbar ziellos nach Nirgendwo navigiert…
Scheinbar.
Plötzlich lag vor uns auf der Wiese ein grauer, großer Vogel. Er war tot. Die Flügel hatte er von sich gestreckt. Um ihn herum wehten seine Federn im Wind.
Wir blieben andächtig vor diesem schönen Tier stehen und meine Kinder, damals 6 und 4, fragten mich mitleidig, was denn mit diesem armen Vogel passiert sei?
Und mit dieser Frage begann, inmitten unseres Abenteuerausflugs an diesem stürmischen Rosenmontag, ein Gespräch mit meinen beiden kleinen Kindern über das Leben, den Tod und dem festen Glauben an ein Leben danach.
Ich ging zu meinen Töchtern in die Hocke und erklärte ihnen, dass der Vogel vielleicht schon alt oder krank war, es womöglich einen Kampf mit einem anderen Raubvogel gegeben hätte, oder dieser Vogel, nennen wir ihn einfach einmal Georg, vielleicht auch einfach so gestorben sei und sein Körper nun hier seine letzte Ruhe gefunden hätte…
Da meine Mädchen ihre Augen nicht von „Georg“ wenden konnten und allem Anschein nach nicht wussten, wie sie diesem Tier nun irgendwie die letzte Ehre erweisen könnten, was ihnen aber offensichtlich sehr wichtig gewesen wäre, fragte ich die zwei:
„Wollen wir Georg vielleicht eine gute Reise in den Himmel wünschen? Was meint ihr?“
Die Antwort der beiden kam prompt und mit einem heiteren Sing-Sang riefen sie gegen den Wind:
„Guuute Reise, Geeooorg!“
Dann lachten sie befreit.
Ich nahm meine Kinder zum Weitergehen an die Hand und sagte aufmunternd, dass es jetzt irgendwo einen Georg-Engelsvogel gäbe, der frei und glücklich durch den Himmel flöge.
Melina, meine damals 6-jährige Tochter, ergriff sogleich das Wort und erklärte ihrer jüngeren Schwester:
„Ja Jona, weil die Seele von Georg ist nämlich in den Himmel gegangen und das hier war nur sein Körper. Und den braucht er da oben nicht mehr.“
Ich nickte lächelnd und streichelte meinem empfindenden Mädchen gerührt über den Kopf: „Genau Süße.." ("So wie ich es euch beiden auch immer am Friedhof am Grab von Romy und Lenny erkläre", fuhr ich gedanklich fort und sprach dann weiter): "Und der Georg-Engelsvogel fliegt jetzt im Vogelhimmel glücklich herum, wie ein ganz junger Vogel! Und seinen alten, oder vielleicht kranken oder verletzten Körper hat er auf der Erde zurückgelassen. So wie es jedes Lebewesen, ob Mensch oder Tier, eines Tages macht, wenn es stirbt und in den Himmel reist.“
Wir hatten uns wieder auf den Rückweg gemacht und Melina philosophierte in Gedanken versunken weiter:
„Mama, dann ist der Schlüssel zum Leben also ein Körper, zusammen mit einer Seele…?“
Ich war beeindruckt von ihrer Schlussfolgerung und antwortete:
„Genaugenommen sind es sogar drei Dinge, Schatzi.“
„Drei sogar?? Was denn noch, Mama??“
Melina blickte mich mit ihren großen blauen Augen an.
Ich setzte Jona ab, die mittlerweile in Huckepack auf meinem Rücken saß und unser Gespräch still, jedoch Anteil nehmend verfolgte. Dann ging ich wieder zu den Mädchen in die Hocke.
Ich streichelte erst fest über Melinas Arme und sagte dabei langsam:
„Also, als erstes der Körper“.
Melina lächelte.
Dann fasste ich an ihr Herz.
„Als zweites die Seele“.
Melina genoss die Berührung und schmiegte ihren Körper fest gegen meine Hand.
„Und das Dritte, woraus wir bestehen, ist unser Geist“.
Dabei kraulte ich liebevoll ihren kleinen Kopf.
„Aaah, Körper, Seele und Geist“, wiederholte Melina nachdenklich.
Und dann, auf einmal warf meine kleine Tochter Jona etwas ein, das die Tiefe unseres bereits außergewöhnlichen Gesprächs beinahe unendlich machte! Sie hatte sich bisher mit Äußerungen zurückgehalten, doch plötzlich sprach sie ganz euphorisch, so als hätte sie gerade in dieser Sekunde etwas Unfassbares erkannt, das sie unbedingt mit uns teilen müsste:
„Und deswegen, Mama, sind die Romy und der Lenny auch schon so bald gestorben! Weil die eine gaaanz große Seele hatten und die schon so bald wieder in den Himmel wollte!!“
Ich weiß nicht, wie dieser mächtige Gedankensprung in meiner damals 4-jährigen Tochter zustande kam, und eigentlich spielt es für mich auch gar keine Rolle. Ich war so berührt über diese bewegende Feststellung meines kleinen Mädchens, dass mein Herz mindestens genau so stürmisch tanzte, wie die Blätter um uns herum im starken Frühlingswind...
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