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  • Sandra Wagner

Ein Baum ist richtig, genau wie er ist


..und dann geh ich in den Wald und sehe all diese Bäume. Ich gehe sehr gerne in den Wald, zu den Bäumen, und lausche der Stille. Und den Bäumen. Und ich berühre sie gerne, die Bäume, und fühle ihre Rinde. Manche Rinde ist glatt, manche rissig. Manche ist verwundet, dann nehme ich den Baum nicht selten in den Arm und schicke ihm Energie. Das hab ich als Kind schon gemacht. Und oft, wenn es mir nicht gut ging, haben die großen, starken Bäume dann ihre Energie auch an mich abgegeben. Das habe ich früh gelernt. Das konnte ich schon immer spüren. Ich hatte als Kind sogar einen Baum-Freund. Es war eine große, alte Birke. Sie stand am Rand des Spielplatzes. Da bin ich immer wieder vorbeigegangen und habe Hallo gesagt. Sie kannte mich mit der Zeit. Und so wurden wir Kumpels. Heute erzähle ich meinen eigenen Kindern, dass die Bäume unsere Freunde sind. Und ich habe ihnen bereits von klein auf einen ganz besonderen Baum vorgestellt: Den Zauberbaum! Eine alte, knorrige Eiche. Er ist etwas starrsinnig, aber freut sich immer ganz besonders, wenn wir ihn besuchen kommen. Meine Kinder nehmen ihn dann immer in den Arm und sie haben sehr schnell gemerkt, dass sich der Zauberbaum besonders freut, wenn sie ihm ein Liedchen vorsingen. Sie stehen dann immer vor ihm und tuscheln kurz, was sie nun singen könnten und dann trällern sie los. Aus dem Zauberbaum fallen dann manchmal sogar Gummibärchen, oder Bonbons oder kleine Lutscher, die meine zwei Mädels dann natürlich strahlend aufheben. Dann nehmen sie den Zauberbaum noch einmal in die Arme, dieses Mal noch fester als am Anfang. Und dann rufen sie - immer in der gleichen Sing-Sang-Tonlage: „Daaaaanke Zauberbauuuuum!“ Und ich freue mich stillheimlich, dass ich meistens Bonbons oder was zum Naschen einstecken habe, für alle Fälle halt, weil meine Kinder doch häufig bei ihrem Zauberbaum vorbeilaufen und ihn besuchen wollen…. Aber zurück zur eigentlichen Geschichte: Ich bin also oft im Wald und sehr gerne umgeben von all diesen unterschiedlichen Bäumen. Einige von ihnen sind gebogen, und einige sind gerade und manche haben Dornen und andere tragen ein dichtes Blätterkleid, während andere beinahe schutzlos dastehen. Aber das sind dann eben Bäume mit weniger Blättern. Oder eben mit Dornen, oder eben gerade oder gebogene. Sie sind wie sie eben sind. Und das nehme ich nicht besonders emotional auf, sondern ich sehe einfach den Baum, meinen Freund, und ich lasse ihn genauso wie er ist. Und erfreue mich an ihm. Und schätze ihn. Und erlaube ihn so zu sein, wie er ist. Und in der Minute, wenn ich mit Menschen zusammen komme, versuche ich sie auch so zu sehen, wie ich die Bäume sehe. Und ich versuche nicht darüber zu urteilen, wie sie sind. Ganz besonders in Begleitungen gehe ich mit dieser Wertschätzung auf dem Menschen zu, der trauernd vor mir steht. In genau seiner Art. In seiner Art zu sein. In seiner Art zu trauern. Und ich versuche ihm zu vermitteln, dass er genau richtig ist. So wie er ist. So wie er trauert. Und dass er nicht zu sehr dies oder zu sehr das ist. Das wird einen vom Umfeld nämlich leider oft vermittelt. Denn dieser urteilende Geist ist uns Menschen einfach gegeben. Ja, und so übe ich mich darin, jeden Menschen immer so zu sehen, wie ich einen Baum sehe. Und das bedeutet für mich, ihn eben so zu schätzen, wie er ist und ihn im besten Falle auch so zu lassen. Und sobald ich merke, dass mir das bei einem vielleicht nicht so gelingt, versuche ich einfach weiterzugehen. Denn der Wald ist voller Bäume…





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