top of page
  • Sandra Wagner

Hey Mama, lass uns doch mal über Reinkarnation sprechen!

Es ist Montagmorgen. Wir haben gerade gefrühstückt. Meine zehnjährige Tochter ist bereits los zum Bus. Sie geht seit diesem Schuljahr ins Gymnasium und muss deswegen schon eine halbe Stunde früher los als ihre kleine Schwester. Ich räume noch schnell den Tisch ab und sage zu meiner kleinen Tochter, sie solle bitte schon einmal hoch ins Bad gehen zum Zähne putzen.


Jona hüpft auf einem Bein los. An der Treppe macht sie kehrt und kommt noch einmal zu mir in die Küche.


"Mama, halt dir mal die Ohren zu!"


Ich schaue verdutzt.

"Äh, okay, ...weshalb?"


Sie versucht zu erklären, lacht, dreht sich im Kreis, und antwortet:

"Weil, ich hab so eine große Frage! Aber ich weiß nicht, wie ich die fragen soll. Ich weiß nicht genau, mit welchen Worten ich das machen soll... Und wie ich die raus kriege. Deswegen will ich halt jetzt erst einmal schreien. Aber ganz laut! Okay, Mama??"


Ich nehme ihre Bitte ernst. Halte mir die Ohren zu. Und gebe ihr ein Startzeichen.


"Ok. Alles klar. Ich bin bereit! Ich zähle rückwärts: Drei, zwei, eins.... los!"


Ich kneife meine Augen zusammen. Gewappnet auf alles was kommt.


Meine Tochter quietscht, ganz laut. Ich blinzle aus zusammen gepressten Augen hervor und sehe, dass sie sich total freut. Ich öffne vorsichtig meine Augen und lächle sie an.

"Na? Besser?"


Sie kichert "Ja!"

und poltert die Treppe hoch ins Bad.


Oben beginnt sie, während ihre elektrische Zahnbürste in ihrer Hand darauf wartet, angeschalten zu werden, mit folgenden Worten ihre schwer zu formulierende Frage:


"Mama, wie ist das denn, also als Engel meine ich. Oder wenn ich halt mal tot bin..."

Ich erinnere mich daran, dass wir vor einigen Wochen schon einmal so ein Gespräch hatten... Damals hatte meine kleine Tochter mich gefragt, ob man das denn merken würde, wenn man zu einem Engel wird, und woher man dann wüsste, dass man kein Mensch mehr sei, sondern ein Engel... Damals entstand in mir ganz spontan, wie durch einen in mir hinein gelegten Impuls, die Geschichte einer Raupe und eines Schmetterlings.


Heute aber ging Jonas Frage etwas weiter. Sie formulierte es so:


"Mama, also, ... wenn ich mal tot bin, also wenn ich nicht mehr da bin, auf der Erde meine ich, als Jona halt... Wie merke ich das denn dann, dass ich nicht mehr der Mensch bin, der ich gerade noch war? Und, wenn ich dann irgendwann wieder da bin, auf der Erde... Also halt, wenn ich dazwischen schon ein Engel war, und dann irgendwann wieder da bin, als neuer Mensch halt, auf der Erde meine ich... Woher weiß ich denn dann, dass ich jetzt nicht mehr die Jona bin, sondern eine andere?? Ein neuer Mensch halt! Erinner ich mich, als neuer Mensch, dann daran, dass ich früher mal die Jona war und gerne Hip Hop getanzt habe? Oder mag ich dann auf einmal lieber Ballett, oder so??"

Dabei tanzt sie wie eine Ballerina vor dem großen Spiegel und beobachtet dabei ganz genau ihre Bewegungen, die auch für sie etwas Neues waren.


Es war mittlerweile schon kurz vor der Bus-Fahr-Zeit und ich wusste, ich hätte nicht mehr viel Zeit, um mit ihr dieses wichtige Gespräch zu führen, ihre langen blonden Haare zu kämmen und in einen Pferdeschwanz zu binden, die Zähne zu putzen und ihre neuen chicen Stiefel ("Mama, die haben fei schon einen kleinen Absatz, die sind total cool!") und ihren Mantel anzuziehen...


Okay... Wie merkt man das, wenn man "als neuer Mensch" auf die Erde kommt...???


Uff.


Ich habe unterdes immer noch Gänsehaut, weil ich es so berührend finde, dass meine Siebenjährige überhaupt so mir nichts dir nichts davon ausgeht, dass der Tod nicht das Ende bedeutet, sondern dass sie erst einmal in eine Art Himmel, in eine andere Welt "als Engel" kommt, und dann irgendwann als "neuer Mensch" auf die Erde inkarniert.


Ich habe ja selbst auch nur den Hauch einer Vorstellung davon, wie das VIELLEICHT sein KÖNNTE, aber auch keine klare Antwort, die ich ihr in der Situation im Bad an einem unter Zeitdruck stehenden Montagmorgen geben könnte, die nicht nur sie sondern auch mich nur halbwegs zufrieden stellen könnte...


"Erinnere ich mich als neuer Mensch daran, wer ich als der Mensch zuvor einmal gewesen bin??", war ihre Frage also...


(In dem Moment hätte ich auch gerne erst einmal ganz laut gequietscht - und darauf gehofft, dass die Worte danach dann leichter zu finden wären)


Ich überlege kurz und ganz prompt fällt mir eine Situation aus unserem aktuellen Familienleben ein... Ich versuche die Worte so zu wählen, das sie für ein kleines Mädchen (und auch für eine selbstkritische Mama) Sinn ergeben würden.


"Hmm... Schatzi, ich weiß nicht, ob man sich so ganz genau daran erinnert, WER man einmal gewesen ist, aber ich stelle es mir so vor, dass man manchmal Erinnerungen hat, an diesen Menschen von früher. So ganz klitzekleine vielleicht... So wie ich gerade, wenn ich immer mit Melina Latein lernen muss! Da denke ich mir auch manchmal, dass es doch irre ist, wie ich diese Sprache so gut verstehen kann, obwohl ich sie NIE gelernt habe! Und dann stelle ich mir immer insgeheim vor, dass ich vielleicht schon einmal früher gelebt habe, als diese Sprache noch gesprochen wurde, und das finde ich dann immer total spannend, diese Phantasie, und VIELLEICHT ist das ja gar keine Phantasie, sondern eine klitzekleine ERINNERUNG an früher, an diesen anderen Menschen, der ich vielleicht einmal gewesen bin... Verstehst du??? ...aber, ich STELLE es mir halt auch nur VOR! So richtig WISSEN tu ich es auch nicht..."


Jona nickt nachdenklich, aber zufrieden, und sagt dann ganz altklug, mit einer kecken Kopfbewegung, mit der sie ihr langes Haar aus dem Gesicht wedelt:


"Ja, das stimmt. So könnte es sein, Mama."


Ich atme leise aus und lächle erleichtert in mich hinein.

("Puh, zum Glück kann sie es im Augenblick so annehmen und stehen lassen...")


Jona schaltet ihre pinke, elektrische Zahnbürste ein, stellt sich auf Zehenspitzen und dreht sich ein letztes Mal wie eine kleine Ballerina.


Dann platziert sie sich breitbeinig vor dem großen Spiegel, kreist ihre Hüfte und tanzt gekonnt, im nächsten Moment, mit knarrender Zahnbürste im Mund, ihre geliebten HipHop Moves.


Und ich sitze auf dem Badewannenrand. Staunend, mit glückseligen Lächeln, und bewundere dieses zauberhafte Mädchen, das in diesem Leben meine Tochter geworden ist, und ich bin sprachlos vor Liebe und demütig vor diesem großartigen Wunderwerk an Schöpfung.




© 2021 by Sandra Wagner - die Texte und Bilder sind urheberrechtlich geschützt.



31 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page